Über das Stück “Wer hat Angst vor Virginia Woolf …?“ von Edward Albee:
(gesehen am 2. Februar 2007 in der Augsburger Komödie / Premiere)

Zu sehen ist ein Beziehungsdrama in der Familie eines College-Professors. In einer Nacht wird in Anwesenheit nicht näher bekannter Gäste das ganze Elend eines verfehlten Ehelebens durchlitten.
Martha (Eva-Maria Keller) und George (Vilmar Bieri) kommen von einer Party bei Marthas Vater, dem Rektor eines Colleges, spät nach Hause. Deshalb ist George überrascht, dass seine Frau ein junges Ehepaar, das sie auf der Party kennen gelernt haben, noch für dieselbe Nacht zu sich ins Haus eingeladen hat; die beiden treffen auch kurz danach ein. Es fließt reichlich Alkohol und so fallen schnell alle Anstandsgrenzen. Martha beginnt sich sehr ungeniert und in teilweise unflätigster Weise ihre ganze Frustration über ihre enttäuschende Ehe mit George von der Seele zu reden. Sie sieht in ihm einen Versager; George habe ihre eigenen Hoffnungen und die ihres Vaters enttäuscht, der ihn zu seinem Nachfolger als College-Rektor aufbauen wollte. George, gereizt und angewidert von den entwürdigenden Schmähungen seiner völlig unkontrollierten Frau, reagiert zunehmend offensiver und hält ihr ihre Maßlosigkeit, Trunksucht und zahllosen Eskapaden vor. Der Streit der Eheleute geht so weit, dass George seine Frau erwürgen will, was nur durch das Eingreifen der Gäste verhindert wird. Diese wissen zunächst nicht recht, wie sie sich verhalten sollen, spielen aber, selbst immer stärker unter den Alkoholwirkungen leidend, in dieser Eheschmiere mit. Schnell wird auch klar, dass das Pärchen eine Beziehungskrise durchlebt. Der Biologiedozent Nick (Malte Kühn) sucht den großen Erfolg an der Universität, seine Frau Putzi (Christine Diensberg) will keine Kinder von ihm und treibt regelmäßig ab. Nick lässt sich im Laufe der Nacht nicht ganz ohne Kalkül auf Martha, die Tochter des Rektors ein, während seine Frau unter Brechanfällen im Badezimmer leidet. Es wird also deutlich, dass die Probleme von George und Martha ihre Entsprechnung bei Nick und Putzi haben. Georges und Marthas Ehe scheint hauptsächlich deshalb noch zu bestehen, weil sie um einen sehr wohl geratenen Sohn besorgt sind. Die Katastrophe der Tragödie ist erreicht, als George seiner Frau die Nachricht vom Unfalltod dieses Sohnes mitteilt. Martha bricht regelrecht zusammen, was umso befremdlicher ist, als sich wenig später zeigt, dass dieser Sohn ein Fantasiegebilde ist, das sich die beiden aufgebaut haben, weil Martha in Wirklichkeit keine Kinder bekommen konnte. Realität vermischt sich mit Einbildung und Poesie. Der Nachtspuk ist kurz darauf ausgespielt. Die Akteure begeben sich völlig erschöpft zu Bett.
Ort des Geschehens ist ein mondän wirkendes, sehr modern eingerichtetes Haus mit einer ungeheuer hohen Freitreppe ohne jede Sicherung (ständige Absturzgefahr!) ins Obergeschoss. Die Bar in der Ecke ist der zentrale Versorgungsplatz im Wohnraum, denn ohne Alkohol ist dieser Albtraum gar nicht denkbar. Enthemmt und rücksichtslos bekriegen und entlarven sich die Eheleute, werfen sich Wahrheiten an den Kopf und pfeifen auf jede Etikette. Der Wortwechsel wird von Eva-Maria Keller und Vilmar Bieri meisterlich geführt; sie wirken fast unheimlich authentisch, und im Laufe der Geschichte gefriert den Zuschauern das anfängliche Lachen über viele bissige Bemerkungen der beiden angesichts des Ausmaßes der ehelichen Zerrüttung buchstäblich ein. Natürlich muss das junge Pärchen vor der Urgewalt der Hauptrollen ein wenig blass wirken, aber man ahnt dennoch, in welche Richtung auch dieses Scheinglück eines Tages treiben wird. Der Regisseurin Katharina Rupp ist mit dieser Inszenierung ein großer Wurf gelungen. Das Premierenpublikum war begeistert.

(Häuser / Schipfel)

   
  George und Martha zu Hause nach einer Party   Das Ehepaar in einem Anflug von Leidenschaft
 

   
  Nick wirkt unsicher im Gespräch mit dem Ehepaar   Nun mischen auch die Gäste im "Gesellschaftsspiel" kräftig mit.
 

   
  Der erniedrigte George spielt den emsigen Hausmann.   Martha verführt Nick und provoziert damit ihren Mann und Putzi.
 

 
  George ist im Begriff, seine Frau zu erwürgen.