Über das Stück „Vermummte“ von Ilan Hatsor:
(gesehen am 4.11.2006 in der Augsburger Komödie)

Zu sehen war eine Tragödie, in der der Palästina-Konflikt eine Familie zerreißt. Die einzelne Familie kann – so die Grundaussage des Stücks - bei den gesellschaftlichen Wirren im Lande nicht unbeschädigt bleiben, wenn ringsum die Welt in Trümmern liegt.
Drei Brüder leben im Palästina der Gegenwart sehr unterschiedlich. Während sich Da’ud (Robert Arnold) um das Wohl seiner Familie kümmert, sich scheinbar aus den Konflikten im Lande heraushält und beruflich bei den Israelis relativ erfolgreich ist, hat sich Na’im (Thomas Peters) dem Freiheitskampf verschrieben, an dem er militant teilnimmt. Er trifft sich mit Da’ud in einem Schlachthaus, das an diesem Tag leer ist und in dem der dritte Bruder Khaled (Markus Baumeister) arbeitet. Na’im hat den begründeten Verdacht, dass Da’ud seine Mitkämpfer an den israelischen Sicherheitsdienst verraten hat. Da’ud bemerkt nach und nach, dass sein Bruder ein Verhör mit ihm durchführt und sein Leben von seinen Aussagen abhängt. Denn es gibt auf Seiten der palästinensischen Freiheitskämpfer „Komitees“, die Verräter zur Rechenschaft ziehen. Na’im will wissen, was der Bruder zu verantworten hat. Schritt für Schritt stellt sich heraus, dass Da’ud tatsächlich mit dem Sicherheitsdienst kollaboriert, wohl weil er dazu erpresst worden ist. Sein Wissen über die Pläne des Sicherheitsdienstes habe er aber, so rechtfertigt er sich, immer auch dazu genutzt, um die eigene Familie aus der Schusslinie zu halten. Er wirft im Gegenzug Na’im vor, er habe fahrlässig und unnötig einen weiteren kleinen Bruder mit zu einer Parade der Kämpfer genommen, bei der dieser schwer zu Schaden gekommen ist. Khaled versucht die beiden Brüder - so gut es geht – zu besänftigen. Als Na’im das baldige Eintreffen des Komitees ankündigt, fühlt sich Da’ud noch ziemlich sicher, weil er seinerseits seine Bekannten vom Sicherheitsdienst und der isarelischen Armee erwartet. Doch die lassen ihn offenbar im Stich. Es stellt sich heraus, dass Da’uds Bote umgebracht worden ist. Da’ud weiß, dass er in eine ausweglose Situation geraten ist. Das Aufstandskomitee will ihn töten und die israelische Armee kann ihm nicht helfen. Khaled leidet am meisten unter der Zerstörung seiner Familie. Er versteht vor allem nicht, warum sein Bruder Da’ud die Palästinenser verraten hat. Er hätte doch auch versuchen können sich neutral zu verhalten. Am Ende ist es ausgerechnet Khaled, der seinen Bruder Da’ud tötet, bevor das Komitee sein Werk vollbringen kann.
Das Stück zeigt am Beispiel einer einfachen palästinensischen Familie den scheinbar unüberwindlichen Konflikt zwischen Muslimen und Israelis und deren Hass aufeinander. Das gegenseitige Misstrauen und die Angst vor Verrat durch eigene Familienmitglieder bringt die drei Brüder in so ernste Schwierigkeiten, dass kein Ausweg mehr sichtbar wird und nur noch Brudermord die Folge sein kann. Das immer gleiche kalte und kahle Bühnenbild (Hella Prokoph) spiegelt das von Krieg, Mitleidlosigkeit und Tod zerrüttete Land wider. Das Schlachthaus steht für die Situation in Palästina, in der sich die Menschen nur mit Mühe am Leben halten können. Die Familie der Brüder ist so zerrissen wie das Volk der Palästinenser. Und wie im Familiendrama, so ist auch für das Palästinenservolk kein Ausweg aus der Dauerkrise in Sicht. So wird also der Tod weiter das Land regieren. Das Stück ist klassisch aufgebaut (Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung) und der aus dem Leben gegriffene Gegenwartskonflikt hat eine archaisch-tragische Dimension, die schlicht und unkompliziert zum Ausdruck kommt. Der Zuschauer ist von der Handlung gefesselt und wird nachhaltig zum Denken angeregt. Eine beeindruckende Leistung des Regisseurs Frank Siebenschuh!

(Florian Haas, Benjamin Girr, Hans Martin Schipfel)



   
  Die drei Brüder Khaled, Da'ud und Na'im   Markus Baumeister, Robert Arnold und Thomas Peters in den Hauptrollen
 

   
  Familiendrama im Schlachthaus   Die Kontrahenten Na'im (rechts) und Da'ud